DRV TOURISTIK FORUM - November 2000 - Seite 8

 

Workshop Krisenmanagement:

Der Krisenfall muß trainiert werden

Sechs Workshops zu verschiedenen Themen bot der DRV seinen in Marbella zur Jahrestagung versammelten Mitgliedern an. Damit konnte der Verband die unterschiedlichen Interessen der Teilnehmer erfolgreich ansprechen. Ein gutes Beispiel für die hohe Qualität der Workshops war die dreistündige Veranstaltung "Schadensbegrenzung durch aktives Krisenmanagement: Prävention, richtiges Verhalten im Unglücksfall, Nachsorge".

Mit Krisensituationen beschäftigen sich viele Unternehmen besonders aus dem Mittelstand oft erst dann, wenn sie aktuell von einem Unglück betroffen sind. Mit dem Ergebnis, daß im Ernstfall oftmals ein vollständiges Chaos entsteht, sowohl was den Umgang mit den Medien als auch das Handling der Krise im Unternehmen selbst betrifft. Daß jedes Unternehmen sich systematisch auf Krisenfalle vorbereiten sollte und was dabei alles zu beachten ist, war das Kernthema des Workshops mit den Experten Jürgen Scheller (Auswärtiges Amt), Reiner W. Kemmler (Lufthansa), Peter Höbel (crisadvice, ein auf Krisenmanagement spezialisiertes Büro in Frankfurt), sowie Thomas Korbus von RUF-Jugendreisen. Moderator war Otto Deppe vom Saarländischen Rundfunk.

Ein Unternehmen, das sich gezielt auf die Bewältigung von Krisensituationen vorbereiten will, muß zunächst intern klar festlegen, wer von Management und Mitarbeitern welche Aufgabe im Krisenfall übernimmt. Dabei ist auch zu überlegen, wer am besten geeignet ist, die Kom- munikation mit den Medien zu führen. Die Erfahrung zeigt nämlich, daß nicht jede Führungskraft, die ihre normalen Aufgaben im Unternehmen mit Bravour erfüllt, auch im Krisenfall mit außerge- wöhnlichen Anforderungen die richtige Besetzung ist. Peter Höbel: "Im Krisenfall stürzt auf die Firmenleitung in kürzester Zeit so viel ein, daß es keine Chance mehr gibt, sich zu organisieren. Das muß bereits vorher geschehen sein." Und: Die Vorbereitung auf den Tag X muß auch berücksichtigen, daß Unglücke oftmals am Wochenende oder außerhalb der normalen Bürozeiten geschehen, was den Anschub der Krisenbewältigung nochmals erschwert.

Gefahr für mittelständische Unternehmen

Ein mittelständisches Unternehmen, das unvorbereitet mit einem Krisenfall konfrontiert wird und bei den damit verbundenen hohen Anforderungen in der Abwicklung versagt, setzt seine Existenz auf's Spiel, auch wenn es selbst z.B. an einem Unfall mit Todesopfern unschuldig ist, lautet der allgemeine Tenor der Experten. Im Idealfall wird in einem Unternehmen mit regelmäßigem Coaching und Training eine Infrastruktur entwickelt, die eine professionelle Bewältigung einer Krise bzw. eines Unglücks möglich macht. Dazu gehört auch das Durchspielen aller in Frage kommenden Kommunikationswege.

Nicht zu unterschätzen ist die Gefahr, daß die Führungskräfte eines Unternehmens im Krisenfall spätestens nach 30 Stunden nonstop mit ihren Kräften am Ende sind, so daß auch dieses Problem vorab diskutiert werden muß. Hier kann die Lösung heißen, sich rechtzeitig zu überlegen woher professionelle Hilfe von außen in Anspruch genommen werden kann.

Am Beispiel des tragischen Concorde-Unfalls in diesem Jahr schilderte Jürgen Scheller vom Auswärtigen Amt die Arbeit seiner Dienststelle. Dieses Unglück konnte von seiner Seite bereits nach sechs bis sieben Stunden abgearbeitet werden, das heißt, daß alle Namen der Opfer und Angehörigen bekannt waren und dem Bundeskriminalamt die Aufgabe übergeben wurde, die Angehörigen offiziell zu informieren. Ein Telefonat blieb Jürgen Scheller besonders unangenehm in Erinnerung, als ein Anrufer auf die Frage nach seinem Verwandtschaftsgrad mit "Alleinerbe" antwortete. Schwieriger als im Falle des Unglücks von Paris wird es jedoch für das Auswärtige Amt bei Unfällen in fernen Ländern, wo Sprachprobleme und fehlende Kommunikationsinfrastruktur die Ermittlungsarbeit erheblich erschweren können, wobei die Zusammen-arbeit mit den Deutschen Botschaften unerläßlich ist.

Was Flugzeugunglücke betrifft, sieht das moderne Krisenmanagement als erste Maßnahme vor, den Angehörigen der Opfer einen Betrag in Höhe von mindestens 20.000 US-Dollar in bar und sofort auszuzahlen, erklärte Reiner Kemmler. Diese Summe ist nicht als erste Entschädigung gedacht, sondern als praktische Hilfe z.B. für die Anreise zum Unglücksort, Hotelkosten etc. Mit dem Geld wird die Unabhängigkeit und Beweglichkeit der Angehörigen wirkungsvoll gesichert. Psychologische Betreuung, so die Erfahrungen der Krisenmanager, wird erst später sinnvoll, wenn der erste Schock für die Angehörigen vorüber ist.

Appell an die Medien

An die Adresse der Medien gab Kemmler zu bedenken, daß die Veröffentlichung von Passagierlisten von Unglücksflügen eine zusätzliche Traumatisierung der Hinterbliebenen bewirkt. Kemmler: "Die Opfer erwarten in der Regel eine Abschirmung vor den Medien." Im Falle des Hapag-LIoyd-Unfalls von Wien warnen die Krisen-Experten davor, die Situation für die betroffenen Passagiere zu verharmlosen, weil niemand ernsthaft verletzt wurde. Denn auch die erlebte Todesangst könne sich noch jahrelang traumatisierend auswirken.

Grundsätzlich wichtig für ein Unternehmen ist, daß den Medien glaubhaft vermittelt werden kann, daß man sich um die Betroffenen kümmert. Höbel: "Fürsorge wird honoriert." Ansonsten gilt für die Kommunikation mit den Medien: Offen, ehrlich und nicht beschönigend Auskunft geben. Wenn die Medien die Informationen des krisenbetroffenen Unternehmens nicht akzeptieren, holen sie sich vermehrt aus dem erweiterten Umfeld alle möglichen Statements, auch wenn diese von inkompetenten Personen oder Stellen gegeben werden.