REISE UND ERHOLUNG Dienstag, 13. März 2001

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NACHGEFRAGT

„Viele Prozesse sind Ausdruck der Verbitterung“
Krisenmanager Peter Höbel bereitet Unternehmen auf die unterschiedlichsten Krisenfälle vor

Die Menschen sind kritischer geworden. Sie reagieren heute sensibler auf Flugzeugabstürze, Entführungen und andere Krisen als noch vor wenigen Jahren. Auch auf der diesjährigen ITB spielt das Thema Krisenmanagement eine wichtige Rolle, da es für die Reisebranche immer bedeutender wird. Peter Höbel leitet das Frankfurter Unternehmen crisadvice, eine Unternehmensberatung für Krisenmanagement. Höbel kann auf einen langjährigen Erfahrungsschatz zurückgreifen: Er hat in vielen Fällen als Krisenkommunikator gearbeitet, beispielsweise für den hessischen Sozialminister nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl oder für die Lufthansa während des Golfkriegs, bei Flugzeugabstürzen und einer Flugzeugentführung.

SZ: Seit Pauschalangebote die letzten Winkel der Welt erschließen, muss sich die Reisebranche Gedanken über Unglücksfälle machen. Warum ist Krisenprävention so wichtig?

Höbel: Steigende Touristenzahlen, scharfer Wettbewerb, immer exotischere Ziele, Extremsport- und Expeditionsreisen bedeuten für die Touristikindustrie im Jahresschnitt in etwa drei oder vier große, etwa ein Dutzend mittlere und grob geschätzt um die hundert weniger spektakuläre Krisenfälle. Per Saldo ist der Straßenverkehr damit zweifelsohne gefährlicher als jede Urlaubsreise. Das Hauptrisiko für die Touristikindustrie liegt nicht in steigenden Schadenszahlen, sondern in den sich allgemein ändernden gesellschaftlichen Einstellungen zu Zwischenfällen. Die meinungsmachenden Medien sind zahlreicher, technisch schneller und aus der Konkurrenzsituation heraus wesentlich aggressiver geworden. Betroffene eines Unglücks fordern heute neben höheren materiellen Kompensationen immer öfter auch ethisch-moralische Werte, die persönliche Verantwortung von Top-Managern und sogar politische oder fachliche Konsequenzen ein.

Hat die Reisebranche diesen Trend wirklich erkannt?

Einige Veranstalter, und zwar unabhängig von ihrer Größe, haben Vorsorge getroffen. Das Thema Krise wird in Firmen aber vielfach verdrängt, so wie Privatpersonen nicht gerne über das eigene Testament reden. Man schreckt nach dem Concorde-Absturz, der Katastrophe in Kaprun oder der Entführung der Familie Wallert vorübergehend hoch. Sobald sich die Aufregung aber gelegt hat, werden dann doch Mittel und Manpower wieder dort investiert, wo unmittelbare Ergebnisse zu erwarten sind. Also beim Produkt und im Vertrieb.

Wie funktioniert Krisenprävention überhaupt, und was bedeutet effizientes Krisenmanagement?

Meine Vorstellung von Krisenprävention ist, sie als Bestandteil der Qualitätskette zu behandeln. Sozusagen als konsequente Weiterentwicklung des Beschwerdemanagements. Kernanliegen jeder Krisenarbeit ist es, Vertrauen zu bewahren, zu fördern oder wiederherzustellen. Das erfordert schnelles, präzises Handeln und ebenso schnelle, offene und ehrliche Kommunikation. Dafür müssen Einrichtungen vorhanden und getestet sein, die Leute vorbereitet und trainiert, mögliche Abläufe und Inhalte durchdacht und geplant sein.

Wie sieht ein Krisenszenario aus?

Das kann langweilig wie ein Kursbuch und spannend wie ein Krimi sein. Zuerst wird eine Fülle von Fakten und Rahmenbedingungen zusammengetragen. Die Daten werden mit Erkenntnissen aus früheren Schadensfällen und Erfahrungswerten verglichen und nach bestimmten Mechanismen und Regeln verarbeitet. Es wird versucht, Risiken abzuschätzen, Zielkonflikte zu definieren und mögliche Abläufe durchzuspielen. Eine Art Drehbuch aus Realität und Fantasie von der einfachen Bedrohung bis hin zum Super-Gau. Daraus werden dann für verschiedene Fälle und Eskalationsstufen Handlungsanweisungen erstellt. Beispielsweise Checklisten. Die müssen so verständlich sein, dass auch eine Wochenend-Notbesetzung damit umgehen kann. Und gleichzeitig so konkret wie möglich, damit Sofortmaßnahmen ohne zeitverzögernde Diskussionen anlaufen können. Gute Pläne berücksichtigen Flexibilität, weil Krisen in der Praxis nicht dem Verlauf eines Drehbuchs folgen.

Was haben die betroffenen Opfer von Ihrer Arbeit?

Die Opfer profitieren jenseits aller moralischer Fürsorgeaspekte erheblich. Je schneller, je besser, je umfassender Opfer, Angehörige und Hinterbliebene betreut und versorgt werden, desto weniger Anlass sehen sie, das verursachende Unternehmen in den Medien anzugreifen. Das ist die simple Logik. Zufriedengestellte Betroffene sind eher geneigt, sich bei späteren Entschädigungsverhandlungen gütlich zu einigen. Denn viele Prozesse werden von Opfern als Ausdruck der Verbitterung angestrebt. Ein Unternehmen, das diese Zusammenhänge erkennt, in Prävention investiert und im Krisenfall danach handelt, betreibt eben nicht nur Schadensbegrenzung für das eigene Image, sondern im Ergebnis Idealversorgung für die Opfer.

Sie selbst waren als Kommunikationsleiter in verschiedenen Krisen tätig. Wie schützen Sie sich mental vor dem Elend, mit dem Sie konfrontiert werden?

Als Planer, Berater, Einsatzleiter oder Mitglied eines Krisenstabs habe ich eher noch den relativen Schutz, den räumliche Distanz oder der Umgang mit abstrakten Meldungen gewähren. Jeder Feuerwehrmann, Polizist, Sanitäter, Arzt oder Psychologe, aber auch jeder Kameramann oder Journalist am Ort des Geschehens ist unmittelbarer und härter betroffen. In der Hektik des Einsatzes gibt es erfahrungsgemäß nur selten Probleme, wir funktionieren. Aber danach greifen viele zu Alkohol, manche suchen das kollegiale Gespräch, andere geben sich hart und versuchen zu verdrängen. Meinen nötigen Abstand verschaffe ich mir als Hochseesegler.

Was war Ihr schlimmstes Erlebnis?

Jeder Einzelfall ist für sich genommen schlimm, da gibt es keine Werteskala. Allerdings macht mich auch nach mehr als 20 Jahren Krisenerfahrung betroffen, in bestimmten Situationen hilflos zusehen zu müssen. Ein aktueller Fall: Ich bin in Kempten aufgewachsen und wollte dort ein paar Tage über Weihnachten ausspannen. Es war ausgerechnet Heiligabend, als ich mit Freunden einen Kuhstall in Sulzberg besuchte, der Gemeinde also, wo der erste BSE-Fall in Bayern auftrat. Die Ratlosigkeit und die Sorgen dieser Menschen, die hier von Politikern fahrlässig in Not gebracht wurden, ist mir unter die Haut gegangen. Das hat mich so wütend gemacht, dass meine Firma die Allgäuer Bauern seither unentgeltlich berät.


Interview: Sibylle Haas